

In der anderen Hemisphäre
In der anderen Hemisphäre
Für die WhiteHearts ist der Winter keine Jahreszeit, sondern eine Aufgabe: Berge, Powder, Freeride und Freiheit. Weltweit. Und diesmal in Patagonien. In ihrem Reisebericht verraten sie, was sie in faszinierenden Landschaften, auf rauchenden Vulkanen und mit außergewöhnlichen Menschen und Tieren erlebt haben.
Patagonien, Chile.
Draußen regnet es in Strömen, und durch die knorrigen, alten Wälder um uns herum wabern dicke Nebelschwaden. Wir sitzen mitten im Nirgendwo in einem hölzernen Farmhaus im nördlichen Patagonien. Um hierher zu gelangen, mussten wir vom letzten menschlichen Außenposten - der Kleinstadt Villarrica - noch etwa 25 Kilometer mit unserem Allrad-SUV über kurvige Straßen Richtung Anden rattern und 20 Kilometer über matschige Schotterpisten holpern. Jetzt stecken wir hier und warten. Im Hauptraum des großen Hauses züngelt ein wärmendes Holzfeuer im Kamin, während von oben pausenlos dicke Tropfen aufs Dach prasseln.
Langsam bricht die Dämmerung herein. Gleichzeitig entwickelt sich eine gespenstische Geräuschkulisse draußen im Unterholz. Zwischen all den Buchen, Zypressen und Chilezedern heulen Dutzende von Wolfsrudeln miteinander um die Wette. Bedrohlich ist das Ganze nicht, denn die Wölfe sind Huskys. Ganze Teams und ihre Musher haben sich auf dem umliegenden Farmgelände versammelt. Aus Chile, aus Argentinien, Deutschland, Brasilien und anderen Ländern, in denen es ein spezielles Klientel verrückter Freaks gibt, die für ihr Schlittenhunde-Gespann jeden PS-getriebenen Luxusschlitten mit Stern oder Kühlerfigur in der Garage stehen lassen würden.




Es ist der 31. August, der Tag vor dem großen Husky-Rennen auf den südlichen Gletscherfeldern des 2.840 Meter hohen Vulkans Villarrica. Organisator ist unser Gastgeber Konrad Jakob. Den sympathischen 42-jährigen deutschen Auswanderer und ehemaligen Transall-Piloten hat es 2006 ins hinterste Patagonien verschlagen, um seinen Traum zu leben: Eine Husky-Farm mit fast 60 Hunden und der Möglichkeit, in den wilden Weiten der Anden unvergleichliche Sled-Dog-Touren zu unternehmen.
"Das Rennen ist nur was für hard heads!", posaunt Konrad. Dass er damit das Gegenteil von Weichei meint, wird uns klar, als er die Spielregeln beschreibt: "Das Villarrica-Volcano-Race ist eine extrem gebirgige Angelegenheit. 15 Schlitten mit jeweils 10 Hunden gehen an den Start. Insgesamt ist eine Strecke von 140 Kilometern mit fast 5.000 Höhenmetern zu absolvieren. 48 Stunden sind die Gespanne in etwa unterwegs. Fahr- und Ruhezeiten müssen sich die Fahrer selbst einteilen. Campiert wird im Freien auf dem Gletscher. Fürs Schlafen bleibt eigentlich keine Zeit, denn während der Pausen müssen die Musher ihre Hunde mit Futter versorgen und unentwegt Schnee in ihren Kochern schmelzen, damit die durstigen Husky-Kehlen nicht dehydrieren."
Beim Gedanken an diese Belastungen bekommen wir allein vom Zuhören trockene Kehlen und greifen schnell zur nächsten Flasche Cabernet Sauvignon aus dem Maipu-Tal. "Arriba, abajo, al centro y dentro!", lautet der passende spanische Trinkspruch. Und ein deutsches "Prost!" können wir auch noch hinterherschieben - gemeinsam mit einem weiteren deutschen Rennteilnehmer, der hier am riesigen Eichentisch sitzt: Martin Herbst, Kölner, 66 Jahre, fit, vollbärtig, alterslos. Deutsche Krankenkassen würden ihn bei ihrer Beitragskalkulation wohl eher als gefährlichen denn als rüstigen Rentner einstufen.
Martin hat 53 Länder bereist und so viele Stempel in seinem Reisepass wie andere Leute Punkte auf ihrer Payback-Card. Aber so richtig angetan haben es ihm die Huskys. "Mushing ist wie Meditation", schwärmt er mit glänzenden Augen. Als ehemaliger Starfighterpilot und Hobby-Motorradrennfahrer ist er immer gern schnell unterwegs. "Dutzende Hunderudel kurz vor dem Rennstart, das ist Action und Adrenalin pur. Es herrscht ein so infernalischer Lärm, und es liegt ein Vibrieren in der Luft, das erinnert mich an die aufheulenden Düsentriebwerke beim Start eines Jets."



Der Start unserer Crew in Chile begann anders als gedacht. Kurz vor der Landung in Santiago am 22. August um 8 Uhr morgens leuchteten Akki, Kilian und mir die Anden zwar noch durchs Boeing-Bullauge in perfektem Purpurlicht entgegen, jedoch hatte sich die durchgängig schneeweiße Bedeckung der Gipfel, die wir erhofft hatten, auf vereinzelte, zusammenhanglose Schneefelder reduziert. Aber in einem facettenreichen Land wie Chile, das über 4.000 Kilometer lang ist und Vegetationszonen von der Atacamawüste bis zum Inlandeis aufweist, sollte es uns nicht schwerfallen eine erzwungene Ski-Pause einzulegen und während der Wartezeit auf den Winter andere attraktive Ziele anzusteuern.
Was dazu noch fehlte, war ein vierrädriger Begleiter. Den hatten wir bereits von Deutschland aus gebucht. Der spezielle Bolide, der dann auf dem Parkplatz des mysteriösen Vermieters direkt vor dem Flughafen Santiago stand, war ein betagter weißer Dodge Durango SUV, der jeder UNHCR-Mission im tiefsten Kongo gut zu Gesicht gestanden hätte. Bei umgelegten Rücksitzen passten unsere 190 Zentimeter langen Ski-Bags längs hinten in den Fond, und wir würden bei Bedarf ebenfalls recht bequem in die Kiste passen und schlummern können. Wir beschlossen, erst mal der chilenischen Hafenstadt Valparaíso, der Nordküste, dem Meer und der Wüste einen Besuch abzustatten, bevor wir zur skifahrerischen Mission ansetzen würden.
"Schwimmt ganz schön heftig, das Mutterschiff, und der Tank ist auch nur ein Viertel voll", resümierte Kilian genervt nach den ersten Kilometern und rollte bereits auf die nächste Autobahntankstelle zu. Beim Suchen des Tankdeckels stellten wir zudem fest, dass der rechte hintere Reifen während dieser kurzen Fahrt schon die Hälfte der Luft verloren hatte. "Aufpumpen funktioniert nicht, weil ein Teil des Ventilgewindes abgerissen ist", ärgerte er sich kurz mit dem Pressluftschlauch in der Hand, während der Tankwart schon lässig auf uns zuschlenderte. Jener lieferte dann das geflügelte Wort dieser Südamerika-Reise: "Vulcanización!" Erst checkten wir nicht so ganz, was der Mann im gelb-roten Shell-Overall meinte und dachten, er hätte Medizinmann-Fähigkeiten und unsere Vulkan-Ski-Pläne durchschaut. Aber es ging um Gummi.
Denn in Chile wird geflickt, was das Zeug hält. Kaputte Ventile, Nägel im Profil, Löcher und Risse im Mantel - alles kein Problem. An jeder Ecke und an jedem Autobahnabschnitt findet man sie, die Maestros de Vulcanización, die in ihren Wellblech-Werkstätten jedem noch so profil-, lust- und luftlosen Reifen wieder Leben einhauchen. Umgerechnet fünf bis acht Euro zahlt man für eine Reparatur inklusive Flicken, Reifenwechsel und Aufpumpen.





Vollgepumpt, dicht und mit frischer Luft rollten wir gemütlich weiter Richtung Valparaíso, verbrachten in der riesigen Hafenstadt eine lange Nacht und ließen die Verschlüsse unserer DSLR-Kameras klicken, bis die Akkus schlappmachten. Am nächsten Morgen cruisten wir weiter Richtung Norden die Küste hoch, sahen gewaltige Wellen an riesige Felsen klatschen, hörten das Brunftschrei-Stakkato großer Seelöwen-Kolonien, fotografierten Kormorane und Pelikane, betrachteten sehnsüchtig wie mit dem Lineal gezogene Vier-Meter-Wellen und kauften im "Jumbo"-Supermarkt das, was zu einer Südamerika-Reise unabdingbar dazugehört: ein zwei Kilogramm schweres Stück feinstes Rinderfilet, Grillkohle, einen Grillrost und einige Flaschen Rotwein.
Der Trip nahm seinen Lauf. Lagerfeuer, Strandübernachtung, Sternenfotografie in der Wüste - eigentlich war alles dabei, was einen gelungenen Reiseauftakt ausmacht. Nur die Ski-Bags im Kofferraum irritierten uns. Sie waren etwas sperrig und lästig. Zudem gemahnten sie uns an unser eigentliches Vorhaben, das ja aus Bergen, Skifahren und exotischen Wintererlebnissen bestehen sollte. Also widerstanden wir der Verlockung, noch weiter die Ruta 5 hochzuprügeln, und machten einen U-Turn.
Nach 400 Kilometern zurück Richtung Süden tauchten wir ein ins Lichtermeer der Sechs-Millionen-Metropole Santiago. Dort hatten wir zuvor die Erlaubnis eingeholt, vom höchsten Stockwerk des noblen "W-Hotels" eine Zeitraffer-Aufnahme der Mega-City by night machen zu dürfen. Unser Dodge Durango schaffte es genau bis auf den Chauffeur-Parkplatz des Luxusschuppens. Dort hatten wir unseren zweiten Reifendefekt - sozusagen einen Platten auf dem roten Teppich. Aber der Hotel-Concierge erwies sich als gnädig und gönnte uns den Gringo-Bonus: "Just do your job at first, then change the tire!" Apropos "tired" - 850 Kilometer zu unserem nächsten Ziel, der anfangs erwähnten Husky-Farm von Konrad Jakob in Lican Ray, lagen jetzt noch vor uns.
Nun sitzen wir hier im Farmhaus in den Wäldern Patagoniens und warten. Auf den Rennbeginn und auf besseres Wetter. Aber immerhin, wir haben schwere Beine und erste Schrammen in den Skiern vom aggressiven Vulkangestein und harten Gletschereis. Denn Ski- und Schneekontakt konnten wir inzwischen auch herstellen. Einmal rauf auf den rauchenden Vulkan Villarrica und einmal runter. Reicht doch fürs Erste, schließlich sind wir keine Rennfahrer, sondern Freerider. In den nächsten Tagen sollen erst mal die Huskys zeigen, was sie so drauf haben ...


Teil 2 der südamerikanischen Wintererlebnisse der WhiteHearts-Crew folgt in der nächsten Ausgabe. Dort verraten Sie, wie das Villarrica-Volcano-Husky-Race verlief und dass es wohl nur in Chile möglich ist, an einem Tag mit dem Helikopter auf über 4.000 Meter Höhe zu fliegen und in tief verschneite Powderhänge einzutauchen, um am nächsten Tag mit dem Surfbrett und dem Kite in gewaltigen Pazifikwellen und fetten Passatwinden dem Wassersportvergnügen nachzugehen.
Nun sitzen wir hier im Farmhaus in den Wäldern Patagoniens und warten. Auf den Rennbeginn und auf besseres Wetter. Aber immerhin, wir haben schwere Beine und erste Schrammen in den Skiern vom aggressiven Vulkangestein und harten Gletschereis.
Denn Ski- und Schneekontakt konnten wir inzwischen auch herstellen. Einmal rauf auf den rauchenden Vulkan Villarrica und einmal runter. Reicht doch fürs Erste, schließlich sind wir keine Rennfahrer, sondern Freerider. In den nächsten Tagen sollen erst mal die Huskys zeigen, was sie so drauf haben …
Text: Dirk Wagener
Foto: Dirk Wagener und Kilian Kimmeskamp
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