

In der anderen Hemisphäre II
In der anderen Hemisphäre II
Die WhiteHearts reisten nach Chile, um in den Anden Ski zu fahren und Huskys um Vulkane rennen zu sehen - doch die Reise endete auf dem Surfbrett im Pazifik. Ihr Reisebericht verrät, wie sie an einem Tag auf über 4.000 Meter Höhe flogen und in tief verschneite Powderhänge eintauchten, um am nächsten Tag in gewaltigen Wellen dem Wassersportvergnügen nachzugehen.
Lavagestein ist scharf. So scharf, dass es uns schon zum dritten Mal einen Reifen unseres betagten, allradbetriebenen Dodge Durango aufschlitzt. Gerade jetzt, wo der Start des Villarrica Volcano Race unmittelbar bevorsteht, müssen wir Gummi geben und in Formel-1-Manier den Pneu wechseln. Weiter oben am Berg hört man bereits infernalisches Hundegebell. Diverse Huskyrudel und ihre menschlichen Führer - genannt Musher - haben sich auf der südlichen unteren Gletscherzunge des 2.840 Meter hohen Vulkans hier im tiefsten Patagonien versammelt, um gegeneinander anzurennen.
20 Zentimeter Neuschnee, die über Nacht gefallen sind, haben die umliegende Landschaft in eine magische Szenerie verwandelt. Skurrile Araukarienbäume, knorrige Chilezedern und tiefschwarzes Gestein - alles ist überzogen mit einer fluffigen weißen Schneedecke. Das stachelt das Wettkampffieber der unzähligen Alaskan und Siberian Huskys nur noch mehr an. Als wir endlich hechelnd wie die Hunde den Startplatz erreichen, stürzt sich gerade der deutsche Starter und Rennorganisator Konrad Jakob ins Getümmel.


Rauch steigt auf zu unserer Begrüßung, denn der im Hintergrund thronende Vulkan glitzert in der Sonne und signalisiert mit einer permanenten Rauchfahne, dass sein Schlot eine direkte Verbindung ins Erdinnere hat. Mystisch und majestätisch. Ein extremes Umfeld für die Ausrichtung eines Hundeschlittenrennens und eigentlich eine permanente Bergwertung für die zehn Vierbeiner, die jeweils ein Gespann bilden. Mehr als einen Tag und eine Nacht wird gerannt, so weit die Pfoten tragen, Pausen und Verpflegungsstopps muss der Musher für sich und seine Hunde selbst einteilen. Ein extrem harter Sport, der durch die völlige Abgeschiedenheit des Terrains noch eine völlig unberechenbare Komponente bekommt.
Wie unglaublich groß die Gletscherflanken sowie die zahlreichen Rippen und Täler des Villarrica sind, davon konnten wir uns einige Tage zuvor bei einer Skibesteigung und anschließenden Abfahrt schon selbst einen Eindruck machen. Jetzt sind sämtliche Huskyteams in den weißen Weiten verschwunden. Es herrscht glasklare Stille. Stundenlang. Spät am Tag taucht die untergehende Sonne den Horizont in faszinierende Purpur- und Orangetöne - Farben, die unserem europäischen Auge völlig unbekannt sind.
Dann sinkt die Nacht wie ein Samtvorhang über den weiß schimmernden Vulkan. Millionen von Sternen funkeln, und die riesige Milchstraßenwolke spannt sich über den Himmel. Höchste Zeit für uns, zusammen mit einigen anderen Rennhelfern in einer kleinen, zugigen Holzhütte in die Schlafsäcke zu krabbeln. Eisige Kälte umweht unsere Nasen, aber bei dem Gedanken an die Temperaturen, denen die Huskyteams oben auf den Gletscherfeldern ausgesetzt sind, wird uns schnell wieder warm.
Am nächsten Morgen schwappt dann Aufruhr durchs Lager. Per Funk haben zwei begleitende Schneemobile durchgegeben, dass der Zieleinlauf der schnellsten Teams unmittelbar bevorsteht. Platz 1 bis 3 machen die Argentinier unter sich aus: Überlegener Sieger mit den schnellsten Hunden ist Javier Alvarez, darauf folgen Maximo Junquet und Hernan Cipriani. Platz 4 geht an den deutschen Chile-Auswanderer Konrad Jakob, der nicht nur dieses außergewöhnliche Rennen auf die Beine gestellt hat, sondern FALKE dafür auch als Sponsor gewinnen konnte. Tja, dass Konrad nicht für good old Germany, sondern für seine neue Heimat Chile an den Start ging, verschweigen wir dann mal besser.


Was die Huskys geleistet haben, ist wahrlich unglaublich. Unsere bisherigen Skierlebnisse nach mehr als zwei Wochen Aufenthalt in Chile sind dagegen etwas mager. Aber wir haben einen neuen hochfliegenden Plan. Schon von Deutschland aus haben wir Kontakt zu der Heli-Base der "Puma Lodge" in den einsamen Weiten der Anden östlich von Rancagua und etwa 100 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago hergestellt. Um von unserem Standort Villarrica in Patagonien dorthin zu gelangen, fahren wir 850 Kilometer auf der gepflegten Autobahn Ruta 5, weitere 50 Kilometer auf sich windenden Gebirgsstraßen und 30 Kilometer auf staubig-steilen Schotterpisten.
Am Ende quälen wir uns noch einen veritablen Off-road Track mit Felsblöcken, Flussquerungen und tiefen Spurrillen hoch. Nach den letzten Serpentinen tauchen aus einem Hochtal ein Heli-Hangar aus Aluminiumblech und eine riesige Lodge in Holzbauweise auf, die man hier in dieser Abgeschiedenheit am allerwenigsten erwartet hätte. Skifahren per Helikopter garantiert Höhe und damit Powder. Obwohl wir das Tourengehen normalerweise den Rotoren vorziehen, ist das für uns die letzte Chance, die traurige Schneesituation hinter uns zu lassen und in Höhen bis über 4.000 Meter vorzudringen, um endlich perfekten Andenschnee unter die Planken zu bekommen.

Als wir allerdings die Preise für die exklusiven Heli-Dienste und die luxuriöse Unterkunft erfahren, wird uns sofort klar, dass nach spätestens zwei Flugtagen unser komplettes Restbudget für die Reise im wahrsten Wortsinne verflogen sein wird. Auf unseren Vorschlag, im Heli-Hangar in Schlafsäcken zu übernachten, will sich der freundliche Lodge-Manager leider nicht einlassen, aber er bietet uns einen echten Dumpingpreis für drei Übernachtungen in seiner Nobelherberge an. Auch der Heli-Chef und Chefbergführer namens Pancho rechnet mit spitzem Bleistift und überrascht uns zudem mit dem Vorschlag, dass er uns unsere eigenen Anden-Playgrounds servieren will.
Genau in jenen bewegen wir uns dann an den darauffolgenden Tagen, denn der Heli fliegt uns frühmorgens in extrem hoch gelegene Bowls, aus denen er uns erst am späten Nachmittag wieder abholt. In diesen Schneeschüsseln steigen wir diverse Routen hinauf und fahren ganz unterschiedliche Runs ab. Am Ende dieser beeindruckenden Tage in irrer Höhe und absoluter Einsamkeit haben wir nicht nur die umliegenden Tiefschneehänge total zerpflügt, sondern auch eine Menge Geld gespart - schließlich dient der Heli nicht als permanente Steighilfe, sondern nur als Transfer in unerreichbare Hochlagen.



Mehr geht nicht in diesem dürren südamerikanischen Winter 2013. Es macht keinen Sinn, weiterhin dem Powder hinterherzujagen. Wohl deshalb kommt uns beim abendlichen Rotwein dann die Idee, dass H2O nicht nur im Aggregatzustand Schnee verdammt interessant ist und dass Chile auch in puncto Wassersport extreme Herausforderungen zu bieten hat. Nur wo genau sollen wir hinreisen und wie sollen wir bei einer über 4.000 Kilometer langen Küstenlinie auf Anhieb den besten Surf-Spot ansteuern?
Das Gute liegt in diesem Riesenland mal wieder nah. Exakt im Westen von Rancagua und gerade mal 150 Kilometer entfernt befindet sich einer der interessantesten Windsurf- und Kite-Spots Südamerikas: Matanzas, zu Deutsch "das Gemetzel". Was genau es mit diesem Namen auf sich hat, sehen wir, als wir am nächsten Tag nach nur zwei Stunden Autofahrt bei strahlendem Sonnenschein auf die gleichnamige Bucht blicken. Windstärke 6 fegt über den Pazifik, und fette Wellen krachen auf die umliegenden Felsen und den abgeschiedenen Strand.

Genau dort steht das stylische Hotel "Surazo", gebaut auf Holzpfeilern, mit Bäumen, die durch die Terrassen wachsen, einem Restaurant mit Rundumverglasung, einer atemberaubenden Speisekarte und unverstelltem Blick auf den Ozean. Zufällig sind die einzigen drei Windsurfer, die draußen auf dem brodelnden Pazifik ihre Klasse unter Beweis stellen, der Hotelchef, der Koch und der Surfschulbetreiber. Bingo!
Einige Stunden später haben wir in diese traumhafte Unterkunft eingecheckt, Kite- und Windsurf-Material organisiert und sitzen bei Pulpo-Salat und gegrilltem Fisch am schönen Lärchenholztisch des absolut außergewöhnlichen Strandhotels. Und zum Glück lassen uns die Passatwinde und Pazifikwellen an den darauffolgenden Surf-Tagen nicht so grandios im Stich wie der Schnee in den Bergen ... Tja, kaum zu glauben, unser Skiabenteuer in der anderen Hemisphäre endete im Meer. Jetzt, wieder zurück in Deutschland, wissen wir schon gar nicht mehr, woher der feine, dunkle Lavasand stammt, der aus unseren Reisetaschen und Rucksäcken rieselt - von Vulkanflanken oder Pazifikstränden?
Text: Dirk Wagener
Fotos: Dirk Wagener und Kilian Kimmeskamp
